LESUNGEN IM GARTEN
Rückblick auf die Lesungen der Jahre 2020 bis 2023
25.06.2023
Der Garten spielt in der Geschichte und im Leben der Menschen – insbesondere der Deutschen – eine, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle. Nach christlichem Glauben sind die ersten beiden Menschen in einen Garten gesetzt worden – den sie leider nach einem unvorsichtigen Biss in den Apfel alsbald wieder verlassen mussten. Seitdem sehnen sich die Menschen nicht nur zurück in den Garten Eden, sondern der Garten steht für alles fundamental Menschliche: Entstehung und Verfall, Arbeit und Entspannung, Chaos und Ordnung. Der Garten, so könnte man meinen, ist ein Sinnbild für den Versuch des Menschen, die wirre und bedrohliche Natur einzuhegen, um ihre faszinierende Schönheit in Sicherheit genießen zu können.
Das Theater Nordstadt trägt Prosa, Lyrik und Songs vor, die diese vielen Facetten des Gartens zum Klingen bringen. Eben 1000 Töne Grün.
08.05.2022 (ausverkauft)
Man kennt ihn als kleine niedliche Figur mit Pfeil und Bogen: AMOR!
Wer jedoch von seinem Pfeil getroffen wird, spürt recht schnell, dass da nicht nur etwas Niedliches mit einem geschieht. Das süße Gift der Pfeilspitze vermag Elementarkräfte in Gang zu setzen, Rauschzustände, die mal in Euphorie, mal in Katerstimmung enden,- häufig in beiden. Wer getroffen wird, ist bisweilen (Oft? Immer?) nicht mehr Herrin oder Herr des Geschehens: selbst die antiken Göttinnen und Götter waren, so der Mythos, davor nicht gefeit. Ihre zahlreichen Liebschaften geben mal beredtes, mal beschwiegenes Zeugnis. Man denke an das Homerische Gelächter...
Seit Literatur existiert, erzählt sie davon: Von Lieb und LeidenSchaft und all dem, was dazwischen (nicht) geschieht. Und wir lesen daraus: Gedichte, Ausschnitte aus Erzählungen, Romanen, Songs...
18.07.2021 (ausverkauft)
Gefährlicher Revolutionär? Anwalt der Armen und Erniedrigten? Chauvinistischer Reaktionär? Frömmelnder Mystiker? So unterschiedlich wurde Fjodor M. Dostojewski (1821-1881) schon von seinen Zeitgenossen gesehen. Fakten sind aber: als junger Mann Anhänger der Frühsozialisten, dafür zum Tode verurteilt, Urteil umgewandelt in acht Jahre Verbannung nach Sibirien. Später immer angewiesen auf die Vorschüsse seiner Verleger und auf Schulden bei Freunden, auch weil er sein Geld in großem Stil in (deutschen) Casinos verzockt.
Nicht nur, aber auch solche biografischen Erfahrungen spiegeln sich in Dostojewskis Romanen, von denen nicht wenige zur Weltliteratur gehören. Zum 200. Geburtstag liest das Theater Nordstadt aus vier dieser „Dialoge des Innenlebens“.
03. und 04.10.2020 (ausverkauft)
Aus Anlass des 250. Geburtstages von Friedrich Hölderlin
Szenische Lesung mit Musik
Friedrich Hölderlin, der „Hölder“, wie ihn seine Studienfreunde Hegel und Schelling nannten, vor 250 Jahren in Lauffen am Neckar geboren, studierte – auf Wunsch seiner Mutter, deren Hoffnung es war,
ihn auf einer Pfarrstelle (mit gesichertem Einkommen) zu sehen – , ab 1778 am Tübinger Stift Philosophie und Theologie. Bereits zu der Zeit begann er Gedichte zu schreiben, verfolgte mit
Aufmerksamkeit die Geschehnisse in Frankreich, weigerte sich, eine Pfarrstelle anzutreten, fristete sein Dasein stattdessen als Hauslehrer an verschiedenen Orten, u.a in Frankfurt, in der Schweiz, in
Frankreich.
Als Schriftsteller bleibt ihm der Erfolg versagt. Schiller, der Hölderlin seit 1793 kennt, schreibt besorgt an Goethe (1797): "Sein Zustand ist gefährlich. (…) Er lebt jetzt als Hofmeister in einem
KaufmannsHause zu Frankfurth, und … wird in dieser Lage immer mehr in sich selbst hineingetrieben." Hölderlin wird ein Getriebener bleiben. Aus dem Kaufmannshause wird er von dem Bankier
Gontard davongejagt, als dieser wahrnimmt, dass sich zwischen seiner Frau Susette (Hölderlins Diotima) und dem Hauslehrer tiefere Gefühle zu entwickeln scheinen.
Die anschließenden Hauslehrerstellen in der Schweiz und in Frankreich verlässt Hölderlin wieder nach kurzer Zeit, krank und überfordert.
Als er von Bordeaux 1802 über Paris zurückkehrt, verzweifelt auf der Suche nach einem Ausweg aus den bedrückenden Verhältnissen, den politischen wie den persönlichen, erfährt er nicht nur von der
Verhaftung seiner Freunde Baz und Sinclair, sondern auch, dass Susette Gontard nicht mehr lebt.
Wer sollte darüber nicht den Kopf verlieren…
Er ist 36 Jahre alt, als er gegen seinen Willen in die Psychiatrie eingewiesen wird. Nach 8 Monaten wird er mit der Diagnose "unheilbar" entlassen.
Die Familie des Schreinermeisters Zimmer nimmt ihn auf, pflegt ihn, weitere 36 Jahre: „Hälfte des Lebens“ wird eines seiner bekanntesten Gedichte.
13.09.2020 (ausverkauft)
Was für ein Skandal! Eine junge Frau einer angesehenen Berliner Familie verlässt für ihren Geliebten Mann und Kinder – und Theodor Fontane setzt der „Ehebrecherin“ im gleichnamigen Roman L'Adultera (1882) ein Denkmal. Und damit der romantischen Liebe, die sich aus dem goldenen Käfig der bürgerlichen Vernunftehe zu befreien sucht.
L'Adultera ist Fontanes erster Berliner Gesellschaftsroman, in welchem er „ein Berliner Lebens- und Gesellschaftsbild“ geben will. Fontane wird zum Chronisten der Bürgerzeit, er beobachtet die sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüche seiner Zeit, vor allen die zwischen den Geschlechtern. Den Moralaposteln und Philistern hält er dabei den Spiegel vor. Die Folge: häufig eine Entblößung, und zwar nicht seiner – meist weiblichen – Protagonisten, die sich bewusst über Grenzen des sogenannten bürgerlichen Anstandes hinwegsetzten, wenn es gilt, konventioneller Verlogenheit den Rücken zu kehren. Diese vertrauen eher der Glaubwürdigkeit ihrer Gefühle als einem heuchlerischen Moralkorsett, das nur für Frauen, nicht aber für Männer zu gelten scheint. In einem Brief an Georg Friedländer von 1891 formuliert Fontane es so:
„Das Bedenkliche am Christentum ist, daß es beständig Dinge fordert, die keiner leisten kann; und wenn es mal einer leistet, dann wird einem erst recht angst und bange, und man kriegt ein Grauen vor einem Sieg, der besser nicht erfochten wäre.“
Fontane bezieht eindeutig Stellung: Kunst soll nicht den Moralzustand erhalten oder verbessern, sondern das Leben widerspiegeln. Und solchen Lebensbeispielen verleiht Fontane Form und Gestalt(en) in seinem Werk.
Das gilt auch für die Romane „Effi Briest“ und „Cècile“ , aus denen ebenso wie aus „L'Adultera“ gelesen wird: (nachträglich) zum 200. Geburtstag (30.12.1819) eines Schriftstellers, der mit sechzig Jahren begann, seine großen Romane zu verfassen: Psychogramme seiner Zeit.
09.08.2020 (ausverkauft)
Der Mensch ist das Wesen, das sich seiner Vergänglichkeit bewusst ist. Dieses Bewusstsein zwingt ihn in einen Zeitrahmen, den er mit Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu benennen und zu füllen versucht... Doch wie lange dauert die Gegenwart? Einen Augenblick? Eine Sekunde? Oder fünf? Der Blick auf die Uhr zeigt: Schon wieder vorbei… und schon wieder keine Zeit…
Die Zeit: Rätsel, Chimäre, stets flüchtig, immer präsent, nie zu fassen, auch nicht, wenn sie gekommen ist...
Eine Lesung über unsere Suche nach Zeit und Muße. Ihr habt die Uhren – Wir haben die Zeit...
12.07.2020 (ausverkauft)
„Manieren per Mausklick“ verspricht uns das Internet, wenn man nach dem Stichwort „Knigge“ sucht. Das verwundert nicht, denn der Name Adolph Knigge steht heutzutage meist nur noch für Anstandsregeln, Benimmvorschriften und den sogenannten „guten Ton“.
Dabei hatte der Freiherr, der ein Zeitgenosse Goethes war und voller aufklärerischer Begeisterung steckte, mit seinem Buch „Über den Umgang mit Menschen“ etwas ganz anderes im Sinn: Er wollte ein umfassendes System auf den „Grundpfeilern von Moral und Weltklugheit“, schaffen, das es ermöglicht, „in dieser Welt und in Gesellschaft mit andern Menschen glücklich und vergnügt zu leben und seine Nebenmenschen glücklich und froh zu machen.“ Sein Ehrgeiz war dabei, sich über alle „Verhältnisse und Lagen im menschlichen Leben“ zu äußern und „möglichste Vollständigkeit“ zu schaffen.
Das Theater Nordstadt Hannover hat sich der Herausforderung gestellt, aus diesem voluminösen Werk eine Lesung zusammenzustellen. Neben den ernüchternden Erfahrungen, die ein verarmter Adeliger zu Zeiten der deutschen Kleinstaaterei mit den Mächtigen macht, wenn er es mit den Idealen der Aufklärung zu wörtlich nimmt, begegnen uns in den Texten Knigges Fürsten, Vornehme, Künstler, Niedersachsen, Verliebte, Frauenzimmer, Trunkenbolde und überhaupt „Menschen aller Gattungen“.
Begleitet wird die Lesung von Originalkompositionen des umtriebigen Freiherrn, u.a. mit Auszügen aus Knigges Fagottkonzert in F-Dur, das so eigensinnig ist, dass nicht einmal das allwissende Internet eine Tonaufnahme davon kennt.
Es lesen: Frank Kopanski und Heino Gärtner (Theater Nordstadt Hannover)
Musik: Beate Binder (Klavier) und Julius Heinze (Fagott)